Für die Untersuchung und Klassifizierung der motorischen Symptome der Parkinson-Krankheit (PK) hat sich die Unified Disease Rating Scale der Movement Disorder Society (abgekürzt MDS-UPDRS) etabliert – im Speziellen Teil III der Skala, der eine standardisierte motorische Untersuchung umfasst. Zur zuverlässigen Erhebung des MDS-UPDRS III bedarf es aber an speziellem Training und einer regelmäßigen Anwendung, sodass die Skala primär von Spezialisten für Bewegungsstörungen verwendet wird. Insbesondere in sehr frühen Phasen der Erkrankung, bei Vorliegen einer nur milden Symptomatik ist eine genaue Quantifizierung der motorischen Symptome schwierig.
In den letzten Jahren konnte ein rasanter Fortschritt in den Gebieten künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen beobachtet werden. Auch in Hinblick auf die PK finden diese zunehmend in Studien Anwendung zur Unterstützung von Diagnostik und Überwachung des Krankheitsverlaufs. Machine-Learning-Algorithmen können bereits anhand Video-Aufzeichnungen von klinischen Untersuchungen Positionen von Körperteilen exakt lokalisieren und mittels „Deep Learning“ Bewegungsmuster identifizieren und klassifizieren. Es existieren bereits Studien in Parkinson Patienten zur Diagnostik der Erkrankung (Montje et al. 2021) sowie Bewertung der Krankheitsschwere (Sibley et al. 2021) mittels dieser neuen Methodik. Bisher gibt es aber noch keine Anwendung bei Patienten in der Frühphase der Erkrankung. Gerade die Identifikation von Personen in sehr frühen Stadien der Erkrankung, in der der irreversible neurodegenerative Prozess womöglich noch aufgehalten werden kann, ist in Hinblick auf zukünftige neuroprotektive Therapiestrategien sehr interessant.
Rezent wurde im Journal „Parkinsonism and related disorders“ eine Studie einer Arbeitsgruppe der Universität von Florida publiziert, die nun erstmals eine Video-Analyse mittels maschinellen Lernens bei Personen in frühen Krankheitsstadien anwendet, mit dem Ziel, Patienten mit einer beginnenden Parkinson-Krankheit von gesunden Kontrollen zu unterscheiden. Die Studie erfolgte an 31 Personen mit einer inzipienten Parkinson-Krankheit sowie 26 Alters-gematchten gesunden Kontrollen. Es erfolgte die Anwendung des MDS-UPDRS III und dessen Video-Aufzeichnung in allen 57 Teilnehmern. Personen mit einer bereits bestehenden dopaminergen Therapie mussten diese für mindestens 12 Stunden vor der Untersuchung pausieren. Die 31 Parkinson-Patienten der Studie hatten eine durchschnittliche Krankheitsdauer von 36 Monaten (bei einem Maximum von 5 Jahren) sowie einen mittleren MDS-UPDRS III Score von 17,5 Punkten (im Vergleich zu einem durchschnittlichen Score von 4,5 Punkte bei den gesunden Kontrollen).
Das Machine Learning Modell wurde auf drei Untersuchungsteile des MDS-UPDRS III beschränkt: Finger-Tippen, Handbewegungen und Beweglichkeit der Beine. Mittels eines „Deep Learning“ Modells wurden 21 Orientierungspunkte an den Händen und 33 Orientierungspunkte am Körper der Probanden ermittelt. Anhand der Orientierungspunkte können die aufgezeichneten Bewegungen in Abstandssignale transformiert werden und daraus verschiedene Bewegungselemente ausgewertet werden: Bewegungsamplitude, Bewegungsgeschwindigkeit, Geschwindigkeit der Bewegungsinitiierung, Geschwindigkeit des Bewegungsende, Zyklusdauer, sowie Amplituden-Dekrement. Anhand dieser Bewegungselemente entwickelt das System drei Lernmodelle: ein Modell für die rechte Seite, ein Modell für die linke Seite, sowie einem Modell zur Analyse der Unterschiede zwischen den beiden Seiten. Für jeden der drei Untersuchungsabschnitte des MDS-UPDRS III und für jedes der drei Modelle wird berechnet, ob eine Person wahrscheinlicher zur Gruppe der gesunden Kontrollen oder zur Gruppe der Parkinson-Patienten zuzuordnen ist. Das System trainiert sich selbst, indem es jeweils ein „Testing Set“, also den Datensatz der zu untersuchenden Personen, mit einem „Training Set“, den Datensätzen der restlichen Probanden, vergleicht und sequenziell für Fehler korrigiert. Das Modell lernt zudem, welche Bewegungselemente es integriert, und welche für eine korrekte Bestimmung nicht notwendig sind und eliminiert werden können.
Insgesamt zeigte sich das Modell erfolgreich in der Unterscheidung von Parkinson-Patienten und gesunden Kontrolle. Das Modell erzielte eine durchschnittliche Genauigkeit von 79% bei Analyse des Finger Tippens (bei 73% Genauigkeit in gesunden Kontrollen und 84% in Parkinson-Patienten), von 75% bei Analyse der Handbewegungen (bei 75% Genauigkeit in gesunden Kontrollen und 81% in Parkinson-Patienten), sowie 79% bei Analyse der Beweglichkeit der Beine (bei 69% Genauigkeit in gesunden Kontrollen und 87% in Parkinson-Patienten). Kombiniert man die drei Untersuchungen, steigt die Gesamt-Genauigkeit des Modells auf 86%, wobei 97% der Parkinson-Patienten und 73% der gesunden Kontrollen korrekt klassifiziert werden. Die 7 gesunden Kontrollen (von insgesamt 26), die falsch klassifiziert wurden, hatten höhere MDS-UPDRS III Scores und waren älter. Das Modell profitierte davon, dass Informationen zu Asymmetrie bzw. zur Körperseite (und damit Informationen zu einem möglichen regionalen Beginn) inkludiert wurden. Wurden diese nicht berücksichtigt, sank die Genauigkeit des Modells auf 40-72%.
Die Ergebnisse der Studie sprechen also dafür, dass es möglich ist, mittels maschinellen Lernens typische motorische Veränderungen der PK bereits in Personen mit einer beginnenden Erkrankung zu identifizieren. Insbesondere für Allgemeinmediziner als auch Neurologen, die nicht auf Bewegungsstörungen spezialisiert sind, könnte eine solche Methode eine wertvolle Unterstützung im klinischen Alltag zur frühen und korrekten Identifikation von Parkinson-Patienten darstellen. In Anbetracht des demographischen Wandels mit einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung und steigenden Zahl an Parkinson-Patienten wäre dies von Interesse. Eine Methode wie diese wäre leicht zugänglich, zur Anwendung in großen Gruppen geeignet und auch in Hinblick auf zukünftige Krankheitsmodifizierende Therapie-Strategien attraktiv für Screening-Zwecke.
Als Limitation der Studie ist anzumerken, dass es sich hierbei um einen kleinen Datensatz handelt und eine Anwendung in größeren Kohorten zur Bestätigung dieser Resultate notwendig ist. Weiters fokussiert sich die Analyse nur auf drei einzelne Unterpunkte des MDS-UPDRS III, andere Symptome wie Tremor oder Gangveränderungen wurden nicht analysiert. Ebenso gibt die Studie keine Auskunft darüber, inwieweit die Diagnosen der eingeschlossenen Parkinson-Patienten gesichert wurden (zum Beispiel mittels zusätzlicher DaT-Scan Untersuchung, Berücksichtigung nicht-motorischer Symptome). Gerade in frühen Krankheitsstadien sind Fehldiagnosen noch häufig.
Zusammenfassend ist das vorgestellte Modell sehr vielversprechend dafür, dass es in Zukunft möglich sein wird, mittels Video-Analyse und maschinellem Lernen bereits Personen in sehr frühen Krankheitsstadien zu identifizieren. Es bedarf jedoch noch weiterer Anwendungen in größeren Kohorten, die diese Ergebnisse bestätigen. Auch wird in Zukunft interessant sein, ob sich mittels maschinellen Lernens motorische Unterschiede bereits in Personen in der prodromalen Phase der Erkrankung finden lassen (zum Beispiel Personen mit einer idiopathischen REM-Schlaf-Verhaltensstörung). Diese Studie stellt aber einen sehr spannenden Ausblick darauf dar, was in Zukunft mittels Maschinellem Lernen und künstlichen Intelligenzen im Bereich der Parkinson-Diagnostik möglich sein kann.
Autorin:
Dr. Kathrin Marini
P-Update Editoren:
Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani,
Assoz.Prof. Priv. Doz. Dr. Petra Schwingenschuh
Literatur
D.L. Guarín et. al. What the trained eye cannot see: Quantitative kinematics and machine learning detect movement deficits in early-stage Parkinson's disease from videos. Parkinsonism Relat Disord. 2024 Aug 14;127:107104. doi: 10.1016/j.parkreldis.2024.107104. Epub ahead of print. PMID: 39153421.