Im Jänner 2024 ist unter Mitwirkung von Univ. Prof. Dr. Poewe eine neue biologische Klassifikation für die Parkinson-Krankheit in der Fachzeitschrift Lancet Neurology erschienen. Anbei die wichtigsten Punkte.
Die Parkinson-Krankheit ist eine chronisch verlaufende Erkrankung, die mit dem Verlust von dopaminergen Nervenzellen verbunden ist. Die bisherige Diagnosemöglichkeit der Parkinson-Krankheit erfordert das Vorhandensein typischer Störungen der Körpermotorik, vor allem den Nachweis verlangsamter Bewegungsabläufe (Bradykinese), kombiniert mit Zittern der Hände oder Beine (Ruhetremor) und einer erhöhten Muskelspannung (Rigidität). In der Frühphase können zumeist unspezifische Frühsymptome auftreten, wie zum Beispiel Schmerzen, Verstopfung, Depressionen oder auch Schlafstörungen.
Allerdings haben zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt, dass die der Parkinsonerkrankung zugrundeliegenden Veränderungen im Nervensystem schon viele Jahre vor dem Auftreten der klassischen Bewegungsstörungen beginnen. Das bedeutet, dass der Krankheitsprozess zum Zeitpunkt der ärztlichen Diagnose bereits fortgeschritten ist und wertvolle Zeit für vorbeugende oder den Krankheitsfortschritt verlangsamende Therapien verloren ist. Diese Situation hat zu intensiver Forschungsaktivität zu einer möglichen Früherkennung geführt. Dabei spielt die Entdeckung von Parkinson-Biomarkern eine besondere Rolle.
Große Hoffnung wird zurzeit in die Entwicklung neuer molekularer Testmethoden gelegt, mit denen es gelingt, kleinste Mengen des bei der Parkinsonkrankheit fehlgefalteten und verklumpten Zell-Eiweißes alpha-Synuklein in Blut- oder Gewebeproben nachzuweisen. Erste Studienergebnisse zeigen, dass diese molekularen Veränderungen lange vor Beginn der klassischen Parkinsonsymptome zu entdecken sind.
Auch bildgebende Verfahren können bereits frühzeitig Nervenzellveränderungen (Neurodegeneration) im Gehirn zeigen, die auf eine bevorstehende Parkinsonerkrankung hinweisen. Bestimmte genetische Befunde sind ebenfalls eng mit einem Parkinsonrisiko von noch gesunden Personen verbunden.
All dies hat zum Vorschlag einer neuen, ‚biologischen‘ Definition der Parkinson-Krankheit unabhängig von klinischen Symptomen geführt. Damit sollen auch bei Menschen, die noch keine typischen Parkinsonsymptome entwickelt haben, durch den Nachweis von Synuklein-Veränderung, Bildgebungsbefunden und genetischer Diagnostik eine Risiko-Abschätzung und gegebenenfalls Frühdiagnose möglich werden – all dies in der Hoffnung, letztlich Möglichkeiten zur vorbeugenden Therapien zu eröffnen.
Mit der nun veröffentlichen „SynNeurGe“ oder S-N-G-Klassifikation möchten die Forscher eine frühzeitigere Diagnostik und gezieltere Behandlung von Parkinson ermöglichen. Diese neue „S-N-G“- Klassifikation umfasst folgende drei Hauptkomponenten:
Die Klassifikation nach diesen Kriterien schließt auch Konstellationen ein, in denen ein positiver Biomarker-Befund nicht mit klinischen Symptomen einhergeht. So wird der Nachweis von pathologischem alpha-Synuklein im Liquor mittels „seed amplification assay“ (z.B. „Real-Time Quaking-Induced Conversion“, abgekürzt „RT-QuIC“) bei asymptomatischen Individuen als „Synukleinopathie vom Parkinson-Typ“ klassifiziert, bei gleichzeitigem Nachweis dopaminerger nigrostriataler Degeneration sogar als Parkinson-Krankheit. Das Vorliegen einer voll penetranten Mutation, wie z.B. eine dominante Synuklein-Gen Mutation, führt auch ohne klinische Manifestation zur diagnositschen Klassifikation „genetische Parkinson-Krankheit“. Die Autoren erhoffen sich von dieser Systematik die Möglichkeit einer präklinischen Parkinson-Diagnose und letztlich auch die Durchführung präventiver Therapie-Studien. Sie räumen aber ein, dass hierzu noch viele offen Fragen zu klären sind und bezeichnen ihre Vorschläge ausdrücklich als Forschungskriterien.
Ein zweites, überlappendes Konzept einer großen Autorengruppe wurde in der gleichen Ausgabe von Lancet Neurology als Positionspapier veröffentlicht und geht noch einen Schritt weiter. Hier wird der Begriff Parkinson-Krankheit als nosologischer Überbegriff verlassen und unter den Terminus „Neuronale Synuklein-Krankheit“ („Neuronal Synuclein Disease“, NSD) subsumiert, deren klinische Manifestationen ein Parkinson-Syndrom ebenso einschließen, wie isolierte oder mit Parkinson-Syndrom einhergehende kognitive Dysfunktion oder die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD). Zentraler Anker für die NSD-Diagnose ist der Nachweis von alpha-Synuklein „seeding-Aktivität“ mittels RT-QuIC im Liquor, so dass auch klinisch asymptomatische Individuen bei positivem Biomarker-Befund als „Neuronale Synuklein-Krankheit“ definiert werden.
Die Stärken und Schwächen der beiden neuen diagnostischen Konzepte werden in insgesamt 3 die Publikation begleitenden Editorials kritisch reflektiert, wobei das Spektrum von enthusiastischer Zustimmung bis zu Ablehnung reicht.
Autor:innen:
Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani
o.Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe
P-Update Editoren:
Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani,
Assoz.Prof. Priv. Doz. Dr. Petra Schwingenschuh
Original-Publikationen:
Höglinger GU, Adler CH, Berg D, Klein C, Outeiro TF, Poewe W, Postuma R, Stoessl AJ, Lang AE. SynNeurGe: Research criteria for a biological classification of Parkinson’s Disease. The Lancet Neurology 2024, Vol. 23, Issue 2, P191-204. DOI: 10.1016/S1474-4422(23)00404-0.
Simuni T, Chahine LM, Poston K, Brumm M, Buracchio T, Campbell M, Chowdhury S, Coffey C, Concha-Marambio L, Dam T, DiBiaso P, Foroud T, Frasier M, Gochanour C, Jennings D, Kieburtz K, Kopil CM, Merchant K, Mollenhauer B, Montine T, Nudelman K, Pagano G, Seibyl J, Sherer T, Singleton A, Stephenson D, Stern M, Soto C, Tanner CM, Tolosa E, Weintraub D, Xiao Y, Siderowf A, Dunn B, Marek K. A biological definition of neuronal α-synuclein disease: towards an integrated staging system for research. Lancet Neurol. 2024 Feb;23(2):178-190. doi: 10.1016/S1474-4422(23)00405-2. PMID: 38267190.