Funktionelle Bewegungsstörungen (FBS) sind häufige Bewegungsstörungen, die durch eine interne Inkonsistenz charakterisiert sind, z.B. einer Ablenkbarkeit, einem Entrainment bei funktionellem Tremor oder einem positiven Hoover-Zeichen bei funktioneller Parese. Neurobiologisch handelt es sich um eine Dysfunktion zerebraler Netzwerke, die unter anderem das limbische System und den Supplementärmotorischen Kortex (Supplemetary Motor Area, SMA) betreffen. FBS sind weit verbreitet und betreffen bis zu 20 % der Patient*innen in Spezialambulanzen für Bewegungsstörungen.
In der Literatur wurde eine Komorbidität zwischen FBS und neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere der Parkinson-Krankheit (PK), mehrfach beschrieben. Eine kürzlich veröffentlichte Stellungnahme im Movement Disorders Journal ordnete FBS als potenzielles Prodromalsymptom der PK ein und diskutierte dazu verschiedene klinische und pathophysiologische Erklärungsmodelle.
Große Kohortenstudien mit Patient*innen mit neurodegenerativen Erkrankungen (Onofrj et al. 2010, Onofrj et al. 2011) zeigen, dass „somatoforme Störungen“ bei 12-18% der Patient*innen mit Lewy-Körper-Demenz und 7-7,5% der Patient*innen mit PK auftreten. Patient*innen mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen, z.B. Alzheimer-Krankheit oder Progressive Supranukleäre Parese weisen hingegen niedrigere Raten von 0-3% auf. Studien mit Patient*innen mit FBS (Tinazzi et al. 2021, Frasca Polara et al. 2018) identifizierten die PK als eine der häufigsten neurologischen Komorbiditäten von FBS. Bei Patient*innen mit funktionellem Parkinsonsyndrom wurde bei 7-67% eine komorbide PK diagnostiziert.
Bei Patient*innen mit PK trat die FBS meist auf der stärker durch die PK betroffene Seite auf und manifestierte sich bei etwa 36% bereits vor Auftreten der PK. Eine Studie (Tinazzi et al. 2021) fand bei diesen Patient*innen eine durchschnittliche Latenzzeit von 14 Jahren bis zum Auftreten der PK. Typische FBS bei PK umfassen funktionelle Lähmungen, Gangstörungen, Tremor und das funktionelle Parkinsonsyndrom.
FBS bei PK sind zudem mit einer verzögerten Diagnosestellung von PK assoziiert. Die Wahrscheinlichkeit, initial mit PK diagnostiziert zu werden, ist bei Patient*innen mit rein funktionellem Parkinsonsyndrom höher (66%), als bei einer Komorbidität von PK und FBS (33%) (Frasca Polara et al. 2018). Eine Herausforderung bei der Diagnosestellung liegt darin, dass auch bei einer PK einer Inkonsistenz der Symptome vorliegen kann – z.B. eine Variabilität der Symptome in unterschiedlichen emotionalen und sozialen Situationen und Fluktuationen der Symptome.
Eine klinische Gemeinsamkeit von PK und FBS sind neuropsychiatrische nicht-motorischen Symptome, wie Angststörung, Depression, Fatigue, Schmerzen und Alexithymie, die bei PK häufig bereits im Prodromalstadium auftreten. Die gleichen nicht-motorischen Symptome sind auch bei Patient*innen mit FBS verbreitet und gelten als Risikofaktoren oder „Triggerfaktoren“ für FBS. Möglicherweise fördern die nicht-motorischen Prodromalsymptome der PK das Auftreten einer komorbiden FBS, wobei die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen noch ungeklärt sind.
Bei der FBS handelt es sich um eine Netzwerkstörung, die unter anderem das limbische System, die SMA, die Insula, die Basalganglien, den Thalamus, den dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) und das Kleinhirn umfasst. Veränderungen in diesen Regionen sind auch bei der PK zu beobachten. So sind affektive und neuropsychiatrische Symptome bei PK mit Veränderungen im limbischen System assoziiert und bei Aufmerksamkeitsstörungen zeigen sich Dysfunktionen im DLPFC und der Insula. Ein charakteristischer Mechanismus bei FBS ist die Verlagerung von automatisierter zu bewusster motorischer Verarbeitung, die auch bei PK beobachtet wird, z. B. bei Ganginitiierungsstörungen oder „Freezing“-Episoden, wo bewusste Aufmerksamkeit zur Bewegungsausführung erforderlich ist. Neurobiologisch korreliert dies mit einer Hypoaktivität in der SMA und einer beeinträchtigten Konnektivität in limbischen und striatalen Netzwerken, die sowohl bei PK als auch bei FBS auftreten.
Die Neurodegeneration beginnt bereits Jahre vor Auftreten der motorischen Symptome bei der PK. Neuere Studien deuten auf eine Latenzzeit von bis zu 14 Jahren hin. Ein ähnlicher Zeitraum wurde auch für das Auftreten von FBS und anderen Prodromalsymptomen, wie der REM-Schlaf-Verhaltensstörung, beschrieben. Ein beginnender dopaminerger Zellverlust könnte zu einer leichten Störung der motorischen Automatizität führen und so das Entstehen von FBS begünstigen.
Die beschriebene Stellungnahme unterstreicht den Zusammenhang von PK und FBS und schlägt FBS als potenzielles Prodromalsymptom der PK vor. Es sind jedoch weitere Studien erforderlich, um FBS als tatsächliches Prodromalsymptom zu bestätigen. Festzuhalten ist, dass Patient*innen mit FBS klinisch nachverfolgt werden sollten, um das Auftreten einer neurodegenerativen Erkrankung frühzeitig zu erkennen und eine verzögerte Diagnosestellung zu verhindern. Ebenso sollten Patient*innen mit PK aktiv auf das Vorhandensein positiver Zeichen für FBS untersucht werden. Wenn vorhanden, kann eine elektrophysiologische Untersuchung (z.B. Tremordiagnostik) die Diagnosestellung unterstützen.
Autorin:
Dr. Daniela Kern
P-Update Editoren:
Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani,
Assoz.Prof. Priv. Doz. Dr. Petra Schwingenschuh
Literatur
Matar E, Tinazzi M, Edwards MJ, Bhatia KP. Functional Movement Disorder as a Prodromal Symptom of Parkinson's Disease-Clinical and Pathophysiological Insights. Mov Disord. 2024 Aug 9. doi: 10.1002/mds.29958. Epub ahead of print. PMID: 39119738.