Tremor, definiert als unwillkürliche und rhythmische oszillatorische Bewegung eines Körperteils, meist der Arme, ist die häufigste Bewegungsstörung im klinischen Alltag. Neben signifikanten funktionellen Beeinträchtigungen bestehen häufig auch psychosoziale Einschränkungen mit Stigmatisierung. Orale Medikamente führen oft nicht zum gewünschten Effekt oder Nebenwirkungen limitieren deren Einsatz. Operative Verfahren sind effektiv, aber mit Risiken verbunden und unterliegen daher einer strengen Indikationsstellung. Obwohl Botulinumtoxin eine vielversprechende Möglichkeit zur Behandlung des Armtremors darstellen könnte, fehlten bislang Beweise der Effektivität auf die Armfunktion.
In einem rezenten systematischen Review wurden die klinischen Studien zu Botulinumtoxin in der Behandlung des Armtremors zusammengefasst und Perspektiven zur Verbesserung der klinischen Praxis diskutiert (1). 15 Studien, 8 randomisiert-kontrollierte Studien mit 351 Teilnehmern und 7 offene Studien mit 185 Teilnehmern, wurden in die Analyse eingeschlossen. Die Mehrzahl der Studien umfassten Patient*innen mit Essentiellem Tremor, untersucht wurde aber auch Tremor bei Multipler Sklerose, Ruhetremor bei Parkinson-Krankheit und dystoner Tremor. Neben fixen Injektionsschemata wurden auch individuelle Schemata (in Bezug auf Muskeln/Dosis) basierend auf klinischer Beurteilung oder kinematischen Analysen angewandt. Eine Verbesserung in Tremor Skalen oder Akzelerometrie ging aber nicht immer einher mit besserer Funktionalität oder Lebensqualität. In einer Studie mit ET- Patient*innen über 96 Wochen mit Wiederholung der Injektionen alle 16 Wochen konnte ein gutes Langzeitergebnis erzielt werden, allerdings war, wie auch in den anderen Studien, eine Muskelschwäche häufig.
Zusammenfassen ist festzuhalten, dass nur wenige und noch weniger randomisiert-kontrollierte Studien zu diesem Thema publiziert wurden.
Botulinumtoxin scheint zur Behandlung des Armtremors effektiver zu sein, wenn es nach einem individualisierten Schema angewandt wird im Vergleich zu einem fixen Schema. Diese Individualisierung kann auf der klinischen Einschätzung eines erfahrenen Behandlers, kinematischen Analysen, Oberflächen-EMG oder einer Kombination dieser Verfahren basieren. Subjektive und objektive Besserung werden oft in Tremor-Schweregrad-Skalen, funktionellen Skalen, Lebensqualität-Skalen oder quantitativen kinematischen Messungen berichtet. Allerdings stellt eine passagere störende Schwäche der Muskulatur ein häufiges Problem dar. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Problematik einer der Gründe ist, warum Injektionen für den Tremor nicht häufiger angewandt werden. Die Evidenzlage ist suboptimal mit wenigen Studien und einer moderaten Anzahl an Studienteilnehmern mit zumindest 4 verschiedenen Erkrankungen. Methodologische Limitationen umfassen die kleinen Studiengruppen, das Fehlen multizentrischer Protokolle und standardisierter Methoden, um die Effektivität zu bewerten und die Muskelschwäche zu messen sowie die unterschiedlichen Toxine, Dosen und Verdünnungen zu vergleichen. Nur in wenigen Studien wurde die Patientensicht mit der Patient Global Impression of Change (PGIC) mitabgefragt.
Qualitativ hervorzuheben ist eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie mit 30 Patient*innen mit einem dystonen Handtremor die 2021 veröffentlicht wurde (2). In dieser Studie erfolgte die Injektion elektromyographisch mit einer mittleren Dosis von 63,0 U (SD 28,8 U) Onabotulinumtoxin. Als primäre Outcome Parameter fand die Fahn-Tolosa-Marin Tremor Rating Scale (TRS) sechs Wochen nach der Injektion Verwendung gefolgt von einem Follow-Up in Woche 12. Als sekundärer Parameter wurde die Writer’s Cramp Rating Scale (WCRS) und die Global Impression of Change (PGIC) Skala ausgewählt. Der Tremor wurde mittels Akzelerometrie quantifiziert. In der mit Botulinumtoxin behandelten Gruppe fand sich eine signifikante Reduktion des Tremors in der TRS und eine Besserung in der Global Impression of Change (PGIC) Skala. Die Auswertung der akzelerometrischen Daten ergab keinen signifikanten Gruppenunterschied. Der Unterschied in der subjektiv wahrgenommen Handschwäche war mit 40,6 % bei den mit Botulinumtoxin behandelten im Vergleich zu den mit Placebo behandelten (28,6%) Patienten nicht signifikant (p = 0.52). Auch mittels Dynamometer wurde kein signifikanter Gruppenunterschied gefunden. Als Nebenwirkungen traten Schmerzen in beiden Gruppen ohne signifikanten Unterschied auf. Laut DGN-Leitlinie Tremor (3) sollte Botulinumtoxin unter Berücksichtigung des Nebenwirkungsprofils zur Therapie des behindernden dystonen Händetremors eingesetzt werden. Die Therapie erfordert eine besondere Ausbildung des Behandlers.
Praktische Überlegungen basierend auf der vorhandenen Literatur (1-4)
Die Beurteilung des Armtremors sollte folgende Aspekte erfassen:
Es bestehen derzeit keine Konsensusempfehlungen für die Dosis in der Behandlung der verschiedenen Tremorformen. Basierend auf der Literatur wurden folgende Dosisbereiche für die erstmalige Injektion abhängig von der Muskelgröße und Trophik empfohlen (1):
Eine Kombination aus verschiedenen Injektionstechniken (EMG-gesteuert, elektrische Stimulation und Ultraschall) erscheint ideal. Eine Orientierung nach anatomischen Orientierungspunkten ist am wenigsten effektiv. Der Erfolg diese Techniken hängt sehr von der Erfahrung und dem Können des Behandlers ab.
Asymmetrisches Injektionsmuster?
Sowohl in der klinischen Praxis als auch in der Literatur werden oft Agonisten / Antagonisten-Paare injiziert. Kinematisch gesteuerte Injektionen tendieren zu einem asymmetrischen Muster, bei dem die Flexoren/ Pronatoren gegenüber den Extensoren/ Supinatoren überwiegen. Insbesondere eine Schwäche der Extensoren oder Supinatoren ist oft besonders behindernd. Nach dem Konzept, dass die Muskeln einerseits als der Ursprung sensorischer Afferenzen Richtung antagonistischer Motoneurone und andererseits als das motorische Erfolgsorgan wirken, scheint es nicht notwendig zu sein, an beiden Enden (Agonisten und Antagonisten) anzusetzen. Dieses Konzept der asymmetrischen Injektion muss allerdings erst in gut designten Studien überprüft werden.
Generell muss noch viel getan werden, um die Erkenntnisse über Botulinumtoxin Injektionen in der Behandlung des Armtremors zu verbessern, die beste Evidenz liegt aktuell für den dystonen Armtremor vor. Einerseits besteht der Bedarf für ein einheitliches Injektions-Schema je nach Tremormuster, das in hoch qualitativen, randomisiert-kontrollierten Studien eingesetzt werden kann zur Verbesserung von Zielgenauigkeit, Dosis und Verdünnung, um die Effektivität zu steigern und eine Muskelschwäche zu vermeiden. Andererseits muss auch ein individueller Ansatz für Patienten gewährleistet werden, möglicherweise unter Zuhilfenahme von kinematischen Verfahren für die diagnostische Präzision und Objektivität unter der Kontrolle von erfahrenen Behandlern.
Autorinnen:
Priv. Doz. Dr. Petra Katschnig-Winter MSc, Assoc. Prof. Priv. Doz. Dr. Petra Schwingenschuh
P-Update Editoren:
Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani,
Assoz.Prof. Priv. Doz. Dr. Petra Schwingenschuh
Literatur
(1)
Motavasseli D, Delorme C, Bayle N et al. Use of Botulinum Toxin in Upper-Limb Tremor: Systematic Review and Perspectives. Toxins 2024, 16(9), 392
(2)
Rajan R, Srivastava AK, Anandapadmanabhan R, et al. Assessment of Botulinum Neurotoxin Injection for Dystonic Hand Tremor: A Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol. 2021;78(3):302-311
(3)
Deuschl G., Schwingenschuh P. et al., Tremor, S2k-Leitlinie, 2022; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 01.04.2025)
(4)
González-Herrero B, Di Vico I, Pereira E et al. Treatment of Dystonic Tremor of the Upper Limbs: A Single-Center Retrospective Study. J Clin Med . 2023 Feb 10;12(4):1427.