Da die Parkinson-Krankheit eine fortschreitende Erkrankung ist und das Standardmedikament Levodopa eine kurze Halbwertszeit von ungefähr einer Stunde hat, kommt es im Laufe der Jahre zu Wirkungsschwankungen. Gute Beweglichkeit (sogenanntes ON) kann etwa vor der nächsten Tabletteneinnahme in eine Phase mit schlechter Beweglichkeit (sogenanntes OFF) übergehen. Häufig treten dann in den Phasen der guten Beweglichkeit auch Überbewegungen (sogenannte Dyskinesien) auf. Sowohl die OFF-Phasen als auch die Dyskinesien können den Betroffenen zu schaffen machen. Zur Kontrolle dieses Levodopa-Langzeit-Syndroms wird die Medikamententherapie mit unterschiedlichen Wirkstoffen laufend individuell angepasst. Manchmal gelingt das nur mehr schwer, so dass den Betroffenen die Möglichkeit einer gerätegestützten Therapie angeboten wird. Dabei kommen subkutane oder intrajejunale Pumpentherapien zur kontinuierlichen dopaminergen Stimulation oder die chronische Neurostimulation mittels tiefer Hirnstimulation (THS) in Frage.
Die THS ist eine weit verbreitete Therapie, die beim Levodopa-Langzeit-Syndrom bei der Parkinson-Krankheit erfolgreich seit vielen Jahren zur Anwendung kommt. Viele Studien konnten zeigen, dass die THS die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessern und den Medikamentenbedarf deutlich reduzieren kann. Da die Impulse bei der THS jedoch konstant abgegeben werden, können diese je nach motorischem Zustand im Rahmen des Levodopa-Langzeit-Syndroms bzw. der Wirkung der gleichzeitig eingenommenen Medikamente einen zu schwachen oder zu starken Effekt aufweisen.
Die Ergebnisse einer in einer verblindeten, randomisierten Cross-over-Pilotstudie untersuchten „adaptiven“ Neurostimulation wurden ganz rezent in Nature Medicine publiziert. Das Prinzip einer adaptiven Neurostimulation würde darauf beruhen, dass das THS-System dynamisch auf sich ändernde klinische Phasen des Levodopa-Langzeit-Syndroms und die damit zusammenhängenden neuronalen Veränderungen mittels einer Rückkopplungskontrolle reagieren würde. In der Studie wurden vier männliche Parkinson-Patienten mit einer Krankheitsdauer von 10-15 Jahren aufgrund motorischer Wirkfluktuationen einer THS-Implantation unterzogen. Vor der eigentlichen cross-over Studie wurden allerdings über mehrere Monate die optimalen Einstellungen jeweils für die kontinuierliche Neurostimulation und die adaptive Neurostimulation ermittelt. Nachdem die ideale Einstellung für die kontinuierliche THS in einer mehrmonatigen Phase ermittelt wurde, konnten in einem weiteren mehrmonatigen Prozess mit hohem Aufwand stimulationsbedingte Gamma-Oszillationen im Nucleus subthalamicus bzw. im motorischen Kortex als optimale Marker für hohe bzw. niedrige dopaminerge Zustände und die damit verbundenen, am meisten störenden motorischen Symptome bei allen vier Patienten identifiziert werden. Bei drei Patienten war dies die Bradykinese. Nach Ermittlung der idealen Einstellung für sowohl die kontinuierliche als auch die adaptive Neurostimulation wurden beide Einstellungen in der verblindeten, randomisierten Cross-over-Studie miteinander verglichen, wobei jeder Patient für je einen Monat in randomisierter Reihenfolge eine adaptive THS und eine kontinuierliche THS erhielt. Die Studienteilnehmer blieben bzgl. des Stimulationsverfahrens verblindet. Es zeigte sich, dass sich sowohl die motorischen Symptome als auch die Lebensqualität mit der adaptiven Neurostimulation im Vergleich zur kontinuierlichen Standardstimulation deutlich verbesserten. Die Dauer der am meisten störenden Beschwerden wurde dabei etwa halbiert. Zudem konnte mittels adaptiver Stimulation die Medikamentendosis im Vergleich zur kontinuierlichen Neurostimulation deutlich reduziert werden, bei drei der vier Studienteilnehmer um etwa die Hälfte.
Zusammenfassend unterstreichen die Ergebnisse dieser Untersuchung das Potenzial einer personalisierten adaptiven Neurostimulation bei der Parkinson-Krankheit auf Basis eines durch Machine Learning ermittelten Algorithmus, der aus den neuronalen Signalen aus dem Kortex kontinuierlich die jeweilige optimale Stimulation in Echtzeit an die Bedürfnisse der sich ändernden Zustände des Levodopa-Langzeit-Syndroms der Patienten individuell ermitteln kann. Allerdings ist einwendend festzustellen, dass es sich hierbei um eine sehr geringe Teilnehmerzahl mit vier männlichen Parkinson-Patienten gehandelt hat. Dieser neue Ansatz der adaptiven THS muss sich in einer größeren Studien-Kohorte an männlichen und weiblichen Betroffenen bestätigen, bevor dieses Verfahren auf den Markt kommen kann. Dies ist auch insofern wichtig, als unklar ist, wie sicher die Implantation der Elektroden in den motorischen Kortex bei Betroffenen mit Parkinson-Krankheit ist. Bei einem Studien-Patienten kam es beim Implantieren einer Elektrode in den motorischen Kortex zu einer Infektion, so dass die Elektrode ausgetauscht werden musste. Ein weiterer Einwand ist, dass die Ermittlung des Algorithmus hinter der adaptiven THS in dieser Studie ungefähr sechs Monate pro Studienteilnehmer benötigte und damit sehr zeitintensiv war. Automatisierte und daher weniger zeitintensive Prozesse zur Ermittlung des idealen individuellen Algorithmus für die individuelle adaptive Neurostimulation sind erforderlich, bevor dieses Verfahren einer größeren Gruppe von Betroffenen zugänglich gemacht werden können.
Autor:innen:
Dr. Beatrice Heim,
Prim. Univ. Prof. Dr. Klaus Seppi
P-Update Editoren:
Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani,
Assoz.Prof. Priv. Doz. Dr. Petra Schwingenschuh
Literatur
Oehrn CR et al. at Med. 2024 Aug 19. doi: 10.1038/s41591-024-03196-z. Chronic adaptive deep brain stimulation versus conventional stimulation in Parkinson's disease: a blinded randomized feasibility trial. https://www.nature.com/articles/s41591-024-03196-z